Samstag, 26. November 2011

Die fehlenden Mädchen von Gorleben

Statistisch werden in einem Radius von ca. 35 km rund um das Zwischenlager in Gorleben seit 1995 vermehrt Jungen geboren. Dieses Phänomen kennt man auch von anderen Atomanlagen.


Copyright Simon Zirkunow
Das Dumme an den Strahlenschäden ist, man kann sie kaum nachweisen. Leukämie und andere Krebserkrankungen gibt es überall auf der Welt. Auch Radioaktivität ist reichlich vorhanden. Das Problem ist, das Eine mit dem Anderen in Bezug zu setzen. Wer sagt uns, welche Erkrankung reiner Zufall ist und welche Erkrankung durch, vom Menschen freigesetzte radioaktive Strahlung entstanden ist. Zweifelsfrei ist das nicht nachzuweisen.



Wenn etwas nicht zweifelsfrei nachzuweisen ist, hilft sich die Wissenschaft mit Statistik. Diese mathematische Methode, korrekt angewandt, kann gute Rückschlüsse über Ursache und Wirkung geben.



Dr. Hagen Scherb fand in einer Langzeitstudie einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Geschlechterverteilung und der Nähe des Wohnortes zu einer Atomanlage. Normalerweise ist das Verhältnis Jungen zu Mädchen 105 Jungen zu 100 Mädchen, was einem Verhältnis von 1,05 entspricht.



Das Team vom Helmholtz Zentrum München um Dr. Scherb konnte in einem 35 km Radius um eine Atomanlage immer einen signifikanten Anstieg der männlichen Lebendgeburten nachweisen.



So verschob sich das Verhältnis in Remmlingen (Asse) während der Betriebsphase des „Versuchsendlagers“ in den Jahren 1971 bis 1979 auf 1,42 und danach von 1980 bis 2010 auf 1,25. Bemerkenswert ist, dass gerade in einer Gegend nahe eines undichten Endlagers über einen Zeitraum von 39 Jahren die männlichen Lebendgeburten um 23% erhöht sind.



Situation in Gorleben



In Gorleben handelt es sich derzeit um ein Zwischenlager, dass zumindest nach offizieller Darstellung, allen gesetzlichen Anforderungen genügt. Im Umkehrschluss müsste das bedeuten, dass von dem Zwischenlager in Gorleben keinerlei Beeinträchtigung von Mensch und Umwelt zu erwarten ist. Sollte dem so sein, müsste auch das Geburtenverhältnis zwischen Jungen und Mädchen in der Region um Gorleben nicht erhöht sein.



Im Zeitraum von 1971 bis 2010 wurden die Lebendgeburten in der Gegend um Gorleben erhoben. Von 1971 bis 1995 errechnete sich ein Verhältnis von 1,02, also 0,03 unterhalb des bundesdeutschen Mittels. Für den Zeitraum von 1996 bis 2010 errechnete sich ein Faktor von 1,08. Das bedeutet das Verhältnis der männlichen zu den weiblichen Geburten ist um 0,06 angestiegen.



Trägt man die einzelnen Jahreswerte auf einer Kurve ab, sieht man einen signifikanten, sprunghaften Anstieg der männlichen Lebendgeburten im Jahr 1995. Im April 1995 wurde der erste Castor Behälter eingelagert.



Statistisch hat die Einlagerung von Atommüll eine signifikante Auswirkung auf das Verhältnis der männlichen zu weiblichen Lebendgeburten in der Gegend um Gorleben.



Fazit



Es zeigte sich jedoch eine Abweichung zu den Ergebnissen der anderen untersuchten Atomanlagen. Während das statistische Missverhältnis der Geburtenrate von Jungen und Mädchen ab einer Entfernung von ca. 25 km um ein im Betrieb befindliches Kernkraftwerk in Bayern normalisiert, tritt dieser Effekt in Gorleben erst ab einer Entfernung von ca. 60 km ein. Die Höhe der Abweichung ist in Gorleben vergleichbar, mit der in anderen Gegenden rund um eine Atomanlage, der Effekt tritt nur in einem viel größeren Radius auf.



Eine Ausnahme ist hier Asse. Das offensichtlich völlig marode Endlager hat mit Abstand die größten statistischen Abweichungen.



Es ist allerdings bekannt, dass sowohl in Asse, als auch in allen in Betrieb befindlichen Atomanlagen Radioaktivität freigesetzt wird. Dies wird von dem Zwischenlager in Gorleben bis heute vehement bestritten. Die Freisetzung von Neutronen bewegt sich nach offiziellen Modellrechnungen in den vorgegebenen Grenzen und ist so gering, dass sie messtechnisch extrem schwer zu erfassen sind. So zumindest die offizielle Lesart der Betreiber und der Landesregierung von NRW.



Für ein derart harmloses Zwischenlager, wie das in Gorleben ist die statistische Abweichung doch beeindruckend. Sicher sind Abweichungen in Rechenbeispielen kein schlussendlicher Beweis für die schädigenden Effekte der frei werdenden Strahlung. Es liegt in der Natur der Sache, dass dieser nicht zu erbringen ist. Allerdings traten statistischen Abweichungen, die von Dr. Scherb festgestellt wurden an allen untersuchten Atomanlagen auf. Weiterhin wurden die gleichen Effekte auch bei Menschen festgestellt, die den Auswirkungen von Atombombentests ausgeliefert waren, sowie in der Bevölkerung der durch Tschernobyl stark kontaminierten Länder.



In Folge dessen ist es heute unbestritten, dass radioaktive Strahlung das Geburtenverhältnis zwischen Jungen und Mädchen verändert. Wenn diese Veränderungen nun aber an einem „harmlosen“ Zwischenlager auftreten, sollte uns das zu denken geben.



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